Eine Schönheit mit politischem Bewusstsein

Fatma Girik
Fatma Girik
Fatma Girik
Fatma Girik

Sie ist ohne Alter. Schaut man in ihr Gesicht, erkennt man noch immer die gleiche Unschuld des jungen Mädchen, das im Alter von vierzehn Jahren ihre Karriere als Schauspielerin begann. Noch immer ist sie gleich einer Statue, gemeiselt in parischem Marmor. So ist es auch kaum verwunderlich, dass ihre einzigartige Schönheit und der Zauber, der von ihr ausgeht, wenn man sie auf der Leinwand sieht, sich in die Erinnerung der türkischen Cineasten für Jahrzehnte eingeprägt haben, wie bei selten bei einer Schauspielerin.


Sie wurde meist als Wildfang, knabenhaftes Mädchen oder gar als Amazone besetzt, wie in den Filmen Fosforlu Cevriye (Die brilliante Cevriye) und Şoför Nebahat (Chauffeurin Nebahat), in denen sie es mit der männlichen Gesellschaft aufnimmt, indem sie sich männliche Verhaltensweisen aneignet. Doch dies lag sicherlich nicht an ihrer äußerlichen Erscheinung, sondern daran, dass sie tatsächlich nicht auf den Mund gefallen ist und sich auch im wahren Leben keiner Ungerechtigkeit beugt . Mit ihren Rollen, in denen sie meist starke Frauen verkörperte, war sie eine Vorreiterin für die Emanzipation der anatolischen Frauen.

Doch sie mischte sich nicht nur dann ein, wenn es um ihre Filme ging. Mit ihrer eigenen Realityshow machte sie stets auf soziale Probleme und die gesellschaftliche Gewalt gegenüber Frauen aufmerksam. Bevor sie aber 1989 in die Politik ging und Bürgermeisterin des Istanbuler Bezirkes Şişli wurde, war sie zugleich die rebellische junge Frau und die nachdenkliche weibliche Version eines
Hamlet in Metin Erksans Kadın Hamlet-İntikam Meleği (Racheengel, 1976). Unvergesslich sind ihre schauspielerischen Leistungen in Kızgın Toprak (Brennende Erde, 1973), in der sie die Tradition zwingt, ihr eigenes Grab zu schaufeln. Ebenso unvergesslich, wie sie uns in Ağrı Dağı Efsanesi (Das Epos vom Berg Ararat, 1975) in märchenhafte Träume entführte. Und auch als Mutter Irazca, die in Yılanların Öcü (Die Rache der Schlangen, 1985) das Aufbegehren der anatolischen Frauen repräsentiert, schrieb sie türkische Filmgeschichte.


Wer hätte Ende der 50er Jahre gedacht, dass dieses 14-jährige Mädchen, nachdem sie in einigen kleinen Rollen zu sehen war, mit den Filmen Avare Mustafa (Mustafa, der Nichtsnutz, 1961), Mahalledeki Yeni Gelin (Die neue Braut im Viertel, 1961) Badem Şekerleri (Mandelbonbons, 1963), Keşanlı Ali Destanı (Das Epos von Ali aus Keşan, 1964), Yaprak Dökümü (Blätterfall, 1967), ihren unvergesslichen Auftritten in Yılmaz Güneys Acı (Leid, 1971), Namus (Die Ehre, 1972), Toprak Ana (Mutter Erde, 1973), Kanlı Nigar (Die blutige Nigar, 1981) und vielen mehr, zu einer der größten türkischen Schauspielerinnen werden würde?


In ihren Filmen war sie manchmal unsere Schwester, manchmal unsere leidgeplagte Mutter, und manchmal auch unsere schöne, unerreichbare Geliebte. Fast immer war sie aber eine von uns. Eine Frau, die sich von den Leinwänden in unsere Herzen spielte und für immer dort bleiben wird...

 

Burçak Evren
Filmkritiker
Istanbul